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Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Anredeverhalten gegenüber Lehrern an Grundschulen und den verschiedenen Schulausgangsschriften? Lassen sich anhand der eingesetzten Methodik für die Lehre der Rechtschreibung Rückschlüsse auf parteipolitische Präferenzen oder bildungspolitische Prinzipien schließen?
Diesen und ähnlichen Fragen und Zusammenhängen nähert sich Professor Wolfgang Steinig in einer größeren Untersuchung, die unter dem Titel „Grundschulkulturen. Pädagogik – Didaktik – Politik“ gerade erschienen ist.

Hier eine kleine Zitatzusammenstellung aus einem lesenswerten Interview:

An Grundschulen in den Wahlkreisen, in denen vor allem die SPD, aber auch die Grünen und die FDP überdurchschnittliche Ergebnisse bei der letzten Bundestagswahl erzielt haben, werden die Lehrkräfte häufiger geduzt. Gleichzeitig spielt an diesen Schulen die Rechtschreibung eine geringere Rolle. An Schulen in Wahlkreisen, in denen die ‘Die Linke’ stark sind, werden die Lehrkräfte hingegen früher und öfter gesiezt und die Rechtschreibung muss stärker beachtet werden. Die CDU/CSU liegt irgendwo dazwischen.
(…)
Uns hat es überrascht, wie stark die zunächst banal erscheinende Beobachtung, dass Grundschullehrkräfte entweder gesiezt oder geduzt werden, in einem engen Zusammenhang stehen mit den unterschiedlichen Bildungserfolgen, wie sie landesweit in den Bundesländern ermittelt wurden. Aber das Duzen oder Siezen von Lehrkräften ist offenbar ein linguistisches Signal dafür, wie viel Respekt ihnen und dann auch dem Wissen, das sie vermitteln, entgegengebracht wird. Mit der Sie-Anrede geht aber auch ein formelleres Sprachverhalten einher. Kinder, die ihre Lehrkraft siezen, formulieren anspruchsvoller. Ihre Wortwahl und ihr Satzbau sind elaborierter. Sie strengen sich sprachlich wie auch kognitiv stärker an: zunächst im Mündlichen, aber dann auch im Schriftlichen, wie man nicht nur am Umgang mit der Rechtschreibung erkennen kann.
(…)
Dass hier vieles im Argen liegt, weiß heute jeder. Aber wo genau die Gründe liegen, dass einige Bundesländer in Vergleichsstudien erfolgreicher sind als andere, dass die Rechtschreibleistungen seit den 1970er Jahren stark abgefallen sind und dass Kinder aus unteren sozialen Milieus an unseren Schulen vergleichsweise geringe Chancen haben, dazu konnte man wenig lesen. Vor allem wurde bislang nicht klar, wie diese auf den ersten Blick so unterschiedlichen Befunde zusammenhängen.